Ort: Raum 41/218 an der Universität Osnabrück, Institut für Germanistik (IfG), Neuer Graben 40, 49074 Osnabrück
Die spezifisch mediale und materiale Alterität der mittelalterlichen Literatur, die uns in Handschriften begegnet, kann in einem weiteren Sinne sowohl als Bestandteil einer mittelalterlichen Kultur als auch als Möglichkeit, diese Kultur zu rekonstruieren, gelten. Der Gedanke, einen mittelalterlichen Codex holistisch zu betrachten, egal ob Sammelhandschrift oder zusammengesetzte Handschrift, ist aus mehreren Gründen naheliegend. Die Texte, die insbesondere in Sammelhandschriften zusammengetragen wurden, umfassen nicht selten ein poetisches, theologisches, fachliterarisches oder sonstiges Programm oder Konzept. Dem zunehmend vehementen Ruf innerhalb der germanistischen Mediävistik, diese und andere Codices in ihrer Gesamtheit zu betrachten und daraus Rückschlüsse auf einen einzelnen Text zu ziehen, folgen inzwischen immer mehr ForscherInnen. Kaum jemand positioniert sich noch offen gegen die überlieferungsgeschichtliche Methode oder die New Philology bzw. Material Philology. Doch ein grundlegender „turn“ innerhalb des Faches, der sich vor allem in der Praxis niederschlagen müsste, ist immer noch nicht in Sicht.
Dabei ist nicht unerheblich, ob ein Text in einer Einzelhandschrift oder in einer Sammelhandschrift, das heißt, von anderen Texten umgeben, überliefert wird. Liegt der Sammelhandschrift ein übergeordnetes Thema oder Konzept zugrunde, können die Texte auf bestimmte Art und Weise aneinander angeglichen werden, etwa durch ein gemeinsames Layout oder codexübergreifendes Bildprogramm, sie können auf der textuellen sowie textgliedernden Ebene aber auch so abgeändert werden, dass inhaltliche Bezüge deutlicher herausgestellt werden und sich eine bestimmte intendierte Lesart für die handschriftliche Kompilation als Gesamtes ergibt. Die Zusammenstellung mit anderen Texten versetzt einen Text in einen je neuen Kontext und kann ihm eine andere Sinnakzentuierung verleihen, die nicht sichtbar würde, wenn man ihn nur als Einzeltext betrachtete. Das Format und die Ausstattung sowie die verwendeten Materialien eines Codex können Anhaltspunkte dafür geben, wie er gebraucht und von wem er (vor)gelesen wurde, was gerade aus kulturhistorischer Sicht von immenser Bedeutung ist. Aus mediengeschichtlichem Blickwinkel rückt zunehmend auch die Epoche des Übergangs von der Handschrift zum Druck in den Mittelpunkt und damit drängen sich Fragen nach veränderten Arten der Retextualisierung, aber auch neuen medientechnischen Bedingungen dieser Retextualisierungsarten in den Vordergrund, etwa der Umstellung von manueller auf serielle Produktion. In einem weiteren Sinne können auch Gebrauchsspuren späterer Nutzer (Unter- und Durchstreichungen, Kommentare im Schriftblock wie in den Marginalien etc.) wichtige Hinweise zur Wahrnehmung des Textes und dem Umgang mit ihm in seiner vorliegenden Materialisierung liefern. In einer Literaturwissenschaft, die sich zur Kulturwissenschaft hin öffnet, können Fragen nach der Schichtung und Funktion von Nutzerspuren durchaus neue Erkenntnisse bringen.
Die Tagung des [postDoc]-Netzwerk Nord, dem Nachwuchsnetzwerk des Verbunds Mittelaltergermanistik Nord, bietet den Teilnehmenden durch Vorträge und einen Workshop die Möglichkeit, Handschriften in ihrer materiellen Bedingtheit als unikale „Textur“ und spezifisch kulturelle Ausdrucksform zu verstehen und zu interpretieren. Gemeinsam sollen die Möglichkeiten und Chancen einer auf den Codex gerichteten mediävistischen Literaturwissenschaft diskutiert werden.
Um Anmeldung wird bis zum 28. Februar 2019 gebeten an: sebastian.holtzhauer@uni-osnabrueck.de (Wir bitten bei Interesse zwecks Reservierung um eine Anmeldung für das Mittagessen, dessen Kosten selbst getragen werden müssten, sowie gegebenenfalls um Themen, die im Rahmen des Workshops behandelt werden könnten). Eine Tagungsgebühr fällt nicht an.
Sebastian Holtzhauer (Universität Osnabrück), Nadine Lordick (TU Braunschweig), Jeremias Othman (TU Braunschweig), den 11.02.2019
Programm
Montag, 25. März 2019, Universität Osnabrück (R. 41/218)
ab 9.00 Uhr
Anmeldung im Tagungsraum Uni Osnabrück (R. 41/218)
10.00–10.15 Uhr
Begrüßung und Einführung durch die Organisatoren
(Sebastian Holtzhauer, Nadine Lordick, Jeremias Othman)
10.15–11.00 Uhr
Manuel Hoder (Braunschweig): Text, Kotext und Kontext. Wechselwirkungen in der Überlieferungsgemeinschaft von Ortnit und Wolfdietrich
Sebastian Holtzhauer (Moderation)
11.00–11.15 Uhr Kaffeepause
11.15–12.00 Uhr
Annkathrin Koppers (Braunschweig): Zwischen Wertevermittlung, Gesellschaftsallegorie und Spielbegeisterung – die Wiener Handschrift 3049
Sebastian Holtzhauer (Moderation)
12.00–12.45 Uhr
Anabel Recker (Göttingen): Meisterliederhandschriften des 15. Jahrhunderts. Überlegungen zum Verhältnis der Wiltener Liederhandschrift und der Kolmarer Liederhandschrift
Nadine Lordick (Moderation)
12.45–14.00 Uhr Mittagessen im „Rosendahl“
14.00–14.45 Uhr
Jeremias Othman (Braunschweig): Die Frau im rituellen Kontext narrativer Texte Hartmanns von Aue: Zu ritualtheoretischen Ansätzen im Spiegel der Weiblichkeit
Nadine Lordick (Moderation)
14.45–15.30 Uhr
Sebastian Holtzhauer (Osnabrück/Augsburg): Theoretische und praktische Probleme bei der literaturwissenschaftlichen Arbeit mit mittelalterlichen Handschriften – ein Werkstattbericht
Jeremias Othman (Moderation)
15.30–16.00 Uhr Kaffeepause
16.00–17.30 Uhr
Workshop
17.30–18.00 Uhr
Abschlussdiskussion
Jeremias Othman (Moderation)
ca. 18.00 Uhr
Verabschiedung der TagungsteilnehmerInnen und Abreise


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